Über Gott und die Welt

Zum Rahmenlehrplan „Leben und Gesellschaft“

(1) Am vorliegenden Text findet sich kaum eine Spur der langen öffentlichen Diskussion über Inhalt und Methode des neuen Fachs. Keine Spur der Vorlagen zu einem einheitlichen Fach. Es heißt, der Text sei geschrieben worden von zwei Beamten des Ministeriums aufgrund der Vorarbeiten einer Arbeitsgruppe. Von diesen Vorarbeiten und eventuellen Kontroversen erfährt die Öffentlichkeit nichts. Soviel zur Transparenz. Es bleibt zu hoffen, dass die anstehenden Debatten offener geführt werden.

(2) Aus der angekündigten „praktischen Philosophie“ ist trotz vorliegender Vorbilder nun ein Sammelsurium von Themen geworden, ohne Methodik und ohne „roten Faden“ (ALPE). Zentrales Thema soll nicht die Erziehung zur individuellen und kollektiven Autonomie, zum Selbstdenken, zum kritischen Hinterfragen, mit einer entsprechenden Methodik sein, sondern „das Zusammenleben in sozialen Gemeinschaften“, „auf allen Ebenen“, in allen möglichen und unmöglichen Verbindungen zu den unterschiedlichsten Themenbereichen. Mit Bezug auf alle möglichen und unmöglichen „Wissenschaften“ bis hin zur „Theologie als Kulturwissenschaft des Christentums“ (sic), ohne die geringste Überlegung zu den methodologischen Besonderheiten. Die dem Text beigefügte „Inhaltliche Übersicht: Lernfelder und Themen“ ist eine Fundgrube für Ideologiekritiker. Unter „Andersdenkenden“: „Originale und Querdenker“, unter „Demokratie als Lebensform“: „Begegnungen z.B. mit dem Christentum“. „Gerechtigkeit“ passt zu „Wettbewerb“ – nicht nur an dieser Stelle scheint die neoliberale Ideologie durch.

(3) Die gesellschaftliche Diversität wird dabei reduziert auf kulturelle und religiöse Vielfalt. Unterschwellig gar auf ethnischen „Pluralismus“. Soziale Gegensätze tauchen kaum auf. „Arm und reich“ steht unter dem Thema „Traditionen und Beziehungen“! Die obsessive Beschwörung der Diversität und des „Zusammenhalts in einer multikulturellen Gesellschaft“, erinnert an die berühmte „soziale Kohäsion“, mit der ja auch gesellschaftliche Gegensätze verdeckt oder verharmlost werden und schließlich der Konsens erzwungen werden soll. Dazu passt eine seltsame Auffassung der Demokratie: „politische Entscheide müssen nach kritischer Diskussion Zustimmung finden.“ (sic).

(4) In der toleranten Welt des Zusammenlebens muss auch ein zentrales Motiv „praktischer Philosophie“ verblassen: der Unterschied zwischen Wissen und Glauben, zwischen Wahrheit und Meinung, aber auch zwischen Dogma und wissenschaftlicher Recherche. Einmal Schöpfungsgeschichte, einmal Darwin, du darfst wählen, nur auf den gegenseitigen Respekt kommt es an. So waren weder Laizität noch „praktische Philosophie“ eigentlich gemeint.

 

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