Zu Gast im Land: Braucht Luxemburg einen Geheimdienst?

(“Zu Gast” im Lëtzebuerger Land, 18. April 2013)

Nach der illegalen Aufnahme einer Unterredung zwischen dem Geheimdienstchef und dem Premieminister und den allmählich ans Licht tretenden Informationen zu eventuellen Verflechtungen des Geheimdienstes mit der Bommeleeër-Affäre treten Fragen zu Sinn und Zweck eines Geheimdienstes wieder verstärkt ins öffentliche Bewusstsein.

Die benannten Vorgänge werfen prinzipielle Fragen auf, die weit über den Thriller-Charakter eines Geheimdienstromans hinausgehen, selbst wenn die Verlockung auch bei Teilen der Presse nahe liegt, diesen Fragen mit der Passion eines Krimi-autors nachzugehen und die Enthüllungen um individuelle kriminelle Machenschaften der Analyse des systemischen Charakters Vorrang zu geben.

Deshalb ist wichtig, dass die Untersuchungskommission nun neben ihrer Detektivarbeit auch Platz lässt für strukturelle Fragen und entsprechende Experten zu Wort kommen lässt. Der deutsche Jurist und Geheimdienstspezialist Dr. Rolf Gössner stellte in diesem Sinne seine Thesen und Erfahrungen zum Wesen des Geheimdienstes am vergangen Dienstag der Untersuchungskommission dar. Seine Hauptthese besteht darin, dass Geheimdienste Fremdkörper in einer Demokratie seien, da sie durch ihre geheime Methoden und Strukturen dem konstitutiven Prinzip einer solchen – der Transparenz und Kontrollierbarkeit – entgegengesetzt seien. Das einem Geheimdienst zugrundeliegende Geheimhaltungssystem, das den Schutz von Beamten, Agenten und Informanten vorraussetzt umschlingt sowohl die parlamentarische Kontrolle als auch die Justiz. Somit unterwandert der Geheimdienst durch seine Funktionsweise den Kernbereich eines Rechtsstaates selbst: die Gewaltentrennung. Darüber hinaus liegt es im Wesen geheimer Strukturen, dass sie eine Eigendynamik entwickeln, bei der die rechte Hand nicht weiss, was die linke tut. Dies führt unausweichlich zu Machtmissbrauch und einer Verflechtung von gegenseitigen Verdächtigungen, der sich selbst die Exekutive nicht entziehen kann. Nichts anderes ist in Luxemburg geschehen, als der Geheimdienstchef seinen direkten Vorgesetzten, den Premierminister, mittels einer Uhr aufnahm.

Da die parlamentarische Kontrolle sich darauf beschränkt, ihr gnädigerweise vom Geheimdienst selbst vorgelegte Dokumente einzusehen, kann sie diese Kontrollfunktion gar nicht ernsthaft ausüben und unterliegt der permanten Gefahr, alle Aktivitäten des Geheimdienstes zu legitimieren. Auch dies ist in Luxemburg geschehen mit dem Bericht der Kontrollkommission über die Verwicklungen des Geheimdienstes mit Stay Behind.

Die Aufgabe eines Service de Renseignement Informationen zu bestimmten gesellschaftlichen Milieus mit nachrichtendienstlichen Mitteln zu beschaffen bedeutet darüber hinaus, dass eigentlich eine ganze gesellschaftliche Gruppe einem Generalverdacht ausgesetzt und dementsprechend bespitzelt werden muss.

Gössners Thesen sind klar. Und einleuchtend. Informationsbeschaffung und Aufklärung können viel effektiver von unabhängigen, öffentlich einsichtigen und kontrollierbaren Dokumentations- und Forschungszentren übernommen werden. So haben in Deutschland diverse Stiftungen wesentlich erhellendere Einsichten zu neo-nazistischen Aktivitäten gebracht als der sogenannte Verfassungsschutz.

Kriminelle und terroristische Aktivitäten – auch international organisierte – sind Gegenstand von polizeilichen Ermittlungen (auch präventiven) und juristischer Strafverfolgung.

In einer Demokratie darf es keinen Platz für einen Geheimdienst geben, der das unterwandert und in Frage stellt, was er eigentlich verteidigen sollte: den Rechtsstaat.

* Marc Baum ist Mitglied der nationalen Koordination von déi Lénk

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